Ingrid Krause
Ingrid Krause
16.08.2022

Das Geheimnis von Anderlingen

Rätselhafte Gestalten in der Steinkiste

Es ist tatsächlich ein mystisches Rätsel, das noch nicht sicher gelöst wurde: In der Steinkiste von Anderlingen, auf einem Bildstein, sind drei Figuren zu sehen. Doch was haben sie zu bedeuten? Wie alt ist dieser Teil eines Grabes? Und was gibt es am Gräberfeld von Anderlingen noch zu entdecken? Fragen über Fragen ...


Inhalt:
Steinkiste vor dem wieder augeschütteten Grabhügel

Götter, Tänzer, Menschenopfer?

Es ist fast genau ein Jahr her, als ich früh am Morgen nach Anderlingen fuhr. Auf der blühenden Heide glitzerten Spinnennetze, eine ganz besondere Ruhe umgab mich. Mein Interesse galt dem Bildstein und seinem Rätsel. Es sollte aber bis zum letzten Wochenende dauern, dass ich den Ort noch einmal besuchte, und mich dieser Geschichte intensiver widmete. Die Bilder sind daher aus beiden Jahren zusammen getragen. 

Bevor ich aber auf die drei Herrschaften eingehe, folgen erst einmal ein paar Impressionen dieses wunderbaren Geländes.

Was hat es also mit den Figuren auf sich? Dafür müssen wir erst ganz weit in der Geschichte zurück gehen. Man schrieb das Jahr 1907. Damals wurde ein Grabhügel angegraben, da man Baustoffe benötigte. Dabei stieß man auf eine Steinkiste. Die ollen Steine wurden erst einmal liegen gelassen und dem winterlichen Wetter ausgesetzt. Dadurch wurde nach einiger Zeit die Darstellung dieser mysteriösen Figuren sichtbar. Aber der Reihe nach:

  • Zwischen 1.700 und 1.400 v. Chr., in der frühen Bronzezeit, wurde der Grabhügel angelegt. Der Steinhaufen, den du in der Mitte des Platzes siehst, diente dabei als Unterbau für einen Baumsarg.
  • Zwischen 1.400 und 1.500 v. Chr. wurde der Hügel erweitert. Reste von zwei Gräbern für Nachbestattungen sind zu sehen: Einmal die Steinkiste, und einmal eine Pflasterung, die wohl als Basis für einen zweiten Baumsarg diente. Wann Grabräuber den Hügel öffneten, um gezielt die Steinkiste aufzusuchen, ist nicht bekannt.
  • Lange Zeit später, im ausgehenden 5. Jahrhundert n. Chr., wurde im oberen Teil des Grabhügel ein reiches Frauengrab errichtet. Als Grabbeigaben wurden drei vergoldete Silberfibeln gefunden. In einem benachbarten Hügel befand sich das üppig ausgestattete Grab eines sächsischen Kriegers (die Fibeln kamen übrigens aus einer sächsischen Werkstatt!), der im römischen Heer tätig war.

Der ursprüngliche Grabhügel wurde rekonstruiert, alles ist total sauber und ordentlich. Denn die Bedeutung des Fundes ist groß, der Bildstein von Anderlingen zählt zu den wichtigsten archäolgischen Funden Norddeutschlands. Denn dadurch wurden die europaweiten Beziehungen in der Bronzezeit sichtbar. Figürliche Darstellungen wie auf dem Bildstein gab es in ähnlicher Form nämlich in Schweden, genauer in Kivik und Sagaholm, ähnliche Felsbilder wurden in Bohuslän gefunden.

Nun ist aber immer noch die Frage, was diese Darstellung bedeutet. Nach dem Fund wurden die Figuren sozusagen nachgekratzt. Es ist also nicht ganz eindeutig, welche Form historisch ist, und was leicht verändert wurde. Hier ein Vergleich:

Rechts außerhalb des Landesmuseums in Hannover ist der originale Bildstein aus Anderlingen zu sehen. Denn das damals noch Provinzialmuseum Hannover genannte Haus leitete gleich im Januar 1908 die Ausgrabungen ein. Wegen des Frostes konnte nur ein begrenzter Bereich untersucht werden, aber schon im Oktober 1907, direkt nach dem Fund, sicherte ein Heimatforscher aus der Steinkiste ein Beil, eine Fibel und einen Dolch aus Bronze. Alle sichergestellten Gegenstände sind ins Landesmuseum in Hannover gelangt.

  • Auf dem originalen Stein scheint die rechte Figur ein wenig nach hinten zu kippen. Die mittlere scheint eine Axt zu halten, das ist hier für mich aber nicht eindeutig zu erkennen.
  • Die Replik aus dem Bachmann-Museum in Bremervörde (das Museum ist in den nächsten Jahren für Sanierungsarbeiten geschlossen) stellt die Axt klarer dar, die rechte Person scheint sich mehr nach vorne zu beugen und nach unten zu schauen.
  • Auf der Replik in Anderlingen hat die Figur links, die zu tanzen scheint, eine merkwürdige Form. Auch hier beugt sich die rechte Person in dem "Nachthemd" nach vorne, die Axt ist als solche wieder vereinfacht dargestellt.

Zu lesen ist hier und da etwas von einem Götterstein. Auf der Seite der Gemeinde Anderlingen steht am heutigen Tag: "Götterbildstein von Anderlingen mit dem Sonnen-, Feuer- und Mondgott". Ich kann mir Götter so aber nicht vorstellen, und auch nach Aussagen bei einer Führung im Bachmann-Museum ist das nicht wahrscheinlich. Auf der Infotafel vor Ort steht, dass es sich vermutlich um eine Bestattungszeremonie oder eine mythische Szene handelt.

Das Landesmuseum schreibt: "... Die drei wurden als personifizierte Götter gedeutet, aber dagegen spricht die anbetende Haltung. Götter beten nicht. Vielleicht handelt es sich eher um eine Bestattungszeremonie mit Opferhandlungen? Für diese Deutung spricht die Fundsituation: Die Platte bildete den Abschluss einer tonnenschweren Grabkammer, ... Die Waffen- und Schmuckbeigaben, der Hügel und die Grabkammer zeichnen den einst darin Bestatteten als hochrangigen Krieger der herrschenden Elite aus, gleichrangig mit seinem Nachbarn, der in einer noch reicher bebilderten Grabkammer in Südschweden bestattet worden ist. ..."

Kopfkino eines Doku-Junkies

Ich habe, und das ist geschichtlich wahrscheinlich absoluter Quatsch, an eine Dokumentation gedacht, die ich mal gesehen habe. Natürlich finde ich die nicht mehr wieder. Da wurde im Norden Europas ein Krieger den Göttern geopfert, für den dies eine Ehre war. Hier sieht die Person eher wie ein Kind aus, aber egal. Jedenfalls wurde er von hinten mit einer Axt erschlagen, und fiel dann in einen See oder ein Moor. Die linke Person könnte das Ritual mit Tanz und Gebet begleiten. Das Gewand sieht für mich auch nach einem Leichentuch oder so aus. Aber, wie gesagt, das war meine erste Empfindung, und ist nicht recherchiert oder irgendwie belegt. Vor Augen habe ich es bei meiner Fantasie aber fast live und in Farbe.

Die nächste Frage ist, warum die Abbildung in dem Grab war. Ich spinne mir zurecht, dass das Menschenopfer direkt etwas mit der toten Person zu tun hat. Ob es vielleicht schwere Zeiten waren, in denen man alles versuchte, um die Götter zu besänftigen? Wegen einer Dürre, oder eines Krieges? Beides ist ja gerade furchtbar aktuell. Ich finde aber Berichte über eher seltene Menschenopfer erst in späteren Zeiten, nicht in der frühen Bronzezeit vor 3.500 Jahren.

Nun drehe ich den Spieß einfach um, mache mich selbst nicht zeitintensiv zur Fachfrau, sondern frage dich: Weißt du mehr über die Zusammenhänge? Was denkst - oder weißt - du?

Jedenfalls wurden die drei Gesellen auf dem Wappen von Anderlingen ganz kreativ wiedergegeben. Da hat es jemand nicht so genau genommen. Nachvollziehbarer sind sie dagegen im (bisherigen) Logo des Bachmann-Museums.

 

Steine, Hügel, Pflanzen

Heideblüten-Traum

Am markantesten ist auf dem Gelände der neu aufgeschüttete Grabhügel. Drumherum sind ganz viele Steine platziert, die auch benannt werden, wie der Konglomerat. Da kannst du noch eine Menge lernen, und auch für Kinder sollte das spannend sein. Man kann sie, sobald sie lesen können, ja einfach mal auf die Suche nach dem Feuerstein schicken.

Vornean wird anhand eines großen granitischen Gneis gezeigt, wie die Findlinge bewegt wurden.

Zu den Pflanzen gibt es Beschreibungen, wenngleich die Infotafeln nicht mehr gut lesbar sind. Und bei den Tafeln mit den Erklärungen zu Grabhügel, Bildstein und Grabungen gibt es Bänke und einen Tisch aus Stein. Hier lässt es sich prima rasten.

Für mich ist dieser Ort ein Kraftort, ein Ort zum Auftanken. Auf diesem jahrtausendealten Friedhof ist eine angenehme Ruhe zu finden. Irgendetwas berührt meine Seele. Du kannst innehalten, dich setzen, spazieren, und dein ganz eigenes Kopfkino starten. Mit Geschichten aus längst vergangener Zeit.

Und hier noch mal der Ort im kurzen Film:

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Grabhügel von Anderlingen mit Bildstein

Wiesenweg 8
27446 Anderlingen
Tel: 04284 926830
E-Mail: anita@brunkhorst.de

Das Gelände ist jederzeit kostenfrei zugänglich.

Führungen können bei Anita Brunkhorst angefragt werden. Sie ist Gästeführerin, und kann dir alles ganz genau erklären.

Weitere Infos zum Bildstein

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